Andacht Oktober 2021

Ich denke, wir kennen sie alle, diese Sehnsucht nach etwas, nach jemandem, nach dem Sehnsuchtsort, auch, wenn unsere Sehnsüchte unterschiedlich sind und die Erfüllung verschieden aussieht.

Jeder Mensch wurde mit der Fähigkeit geboren, sich etwas zu wünschen, sich nach etwas zu sehnen. Sehnsucht ergreift uns, vielleicht mal mehr, mal weniger, mal stärker und mal schwächer. Sehnsucht kann uns in Bewegung setzen, ein Motor oder Antrieb werden, sie kann uns aber auch lähmen und blockieren.     
Sehnsüchte können uns dazu bringen, etwas zu wagen oder sogar über uns hinauszuwachsen. Sie können gesund oder ungesund sein, können Gottes Willen entsprechen oder auch gegen Gottes Willen sein. Sie können auch übermächtig oder sogar gefährlich werden. In diesem Fall schaden sie anderen oder mir selbst. Manchmal entwickeln sie sich sogar so falsch, dass sie zu Verbrechen veranlassen, um die eigenen Sehnsüchte zu befriedigen. Sehnsüchte sind gut, solange sie uns nicht rücksichtslos werden lassen. Geraten sie auf diese Ebene, sind sie immer gegen Gottes Willen.
Die Grenze zwischen gesunden und ungesunden Sehnsüchten ist jedoch sehr schmal. Und jeder wird in seinem Leben die Erfahrung machen, auch Sehnsüchten nachzuhängen, die einem selbst oder anderen nicht guttun.

"Die Übung, ungesunde Wünsche zu beherrschen und gesunde Wünsche zu stärken, bleibt ein lebenslanger Prozess." (help Bibel, S. 440)

Sehnsucht gehört zum Menschsein von Anbeginn an. Der erste Sehnsuchtsstein rollte im Paradies:

„Da sah die Frau, dass dieser Baum zum Essen einlud. Er war eine Augenweide und verlockend, weil er Klugheit versprach. Sie nahm eine Frucht und biss hinein. Dann gab sie ihrem Mann davon, und auch er aß.“
(1. Mose 3, 6)

Wenn wir in der Bibel auf Sehnsuchtswegen unterwegs sind, merken wir gleich, dass uns die Sehnsüchte gar nicht so fremd sind.

• Sarah sehnt sich nach einem Kind
• Israel sehnt sich nach Freiheit
• Gideon sehnt sich nach Mut
• Mose hofft auf Führungsqualitäten
• Elia hat Todessehnsucht
• die Frau mit den Blutungen, der Blinde, der Leprakranke sehnen sich nach Heilung
• Zachäus wünscht sich Zugehörigkeit
• die Jünger sehnen sich nach Zeichen und Wundern
• die Frau aus Samarien sehnt sich nach lebendigem Wasser
• der verlorene Sohn sehnt sich nach einem erfüllten Leben
• …

Und heute!? Die Sehnsuchtsthemen unterscheiden sich meiner Meinung nach nicht. Sehnsucht nach

• einer Familie
• Freiheit
• Heimat
• den richtigen Gaben
• der Berufung
• dem Tod
• Heilung
• Zugehörigkeit
• Anerkennung, Liebe
• einem Wunder
• dem wirklich Wichtigen, Existenziellen im Leben
• Erfüllung, Glück, Friede
• ...

Ja, es deckt sich und die Liste könnte man individuell verlängern.
Was ist deine Sehnsucht?

Jesus kann in dein Herz sehen, er sieht den Sehnsuchtsfleck, das Loch, das auf (Er-) Füllung wartet. Er möchte derjenige sein, der sich mit dir auf den Weg macht und mit dir den oder das sucht und findet, was dein Loch stopft.
Auch Gott selbst hat eine tiefe Sehnsucht: Gottes größter Wunsch für unser Leben, seine Sehnsucht ist, dass wir Menschen zu ihm eine Beziehung entwickeln. Er wünscht sich, dass wir uns nach ihm sehnen. Somit gibt es für uns vor allem anderen den einen ersten großen Sehnsuchtsauftrag:

"Deine größte Sehnsucht sollte deiner Beziehung zu Gott gelten, denn sie beeinflusst alle deine anderen Wünsche."
(helpFinder Bibel, S. 441)

Wenn wir Gott folgen, mit ihm in Beziehung leben, wird er in unserem Herzen Sehnsüchte, Wünsche entwickeln und pflanzen, die uns guttun. Jesus ist sich unserer tiefsten Sehnsüchte bewusst und er wird uns genau dort begegnen.

"Wende dich an den, der deine Sehnsucht versteht und dir helfen will, darin wahre und nicht nur vorrübergehende Erfüllung zu finden."
(helpFinder Bibel, S.442)

Gott wartet darauf, dass du dich mit deiner Sehnsucht an ihn wendest.

In der Bibel wird in Johannes 4, 1-42 die Geschichte von Jesus und seiner Begegnung mit der Frau am Jakobsbrunnen erzählt. Die Frau aus Samarien hat eine tiefe Sehnsucht nach Anerkennung und Liebe, nach Zugehörigkeit, nach Erfüllung. Der Versuch, diese Sehnsucht zu stillen, trieb sie immer wieder neu in Beziehungen zu verschiedenen Männern. In ihnen hoffte sie das zu finden, was ihr Loch im Herzen stopfen sollte.
In dieser Geschichte wird in Bezug auf das Stillen eines Wunsches, das verzehrende Suchen von „Durst stillen“ gesprochen oder aber dem „Wasser des Lebens“, das Durst stillt.
Die Geschichte der sehnsüchtigen Frau nimmt zunächst kein Ende, indem sie die Erfüllung ihrer Sehnsucht aus menschlicher Sicht erfährt. Jesus präsentiert ihr nicht „den richtigen“ Mann, der genau in ihr Herzensloch passt. Jesus tut etwas Anderes, etwas Grundlegenderes: Er begegnet ihr IN ihrer Sehnsucht, nimmt diese wahr, benennt sie und nimmt die Frau als Person ernst und wahr. Sie ist gänzlich überrascht, dass dieser Mann etwas über sie und ihr tiefstes Verlangen weiß. Nach und nach spürt sie, dass Jesus derjenige ist, der ihr die Lebensgrundlage gibt. Sie erkennt ihn als den, der den Grunddurst ihres Lebens stillen kann, wenn sie mit ihm unterwegs ist. Sollte Jesus der Mann sein, der ihr Loch erfüllen kann?
Sie nimmt die Hand, die er ihr entgegen streckt an, sie lässt sich auf das Wagnis Beziehung mit diesem unbekannten und doch auch leicht befremdlich wirkenden Mann ein, weil sie spürt, dass er das „mehr“ zu geben hat, das ihr fehlt.
Gott begegnet der Samarierin in ihrer Sehnsucht und er stillt gleichzeitig seine tiefste Sehnsucht, ihr persönlich zu begegnen und sie nimmt an.
Damit ist nicht ihre Sehnsucht nach einem Lebenspartner gestillt, aber sie hat die Grundlage geschaffen, mit Gott gemeinsam ihr Leben zu betrachten und sich neu auszurichten. Ob es danach noch ihr großer Wunsch ist, einen Mann zu finden, wird nicht berichtet… Aber die Samarierin hat auf der Suche nach einem erfüllten Leben an diesem Tag einen Heimathafen gefunden. Einen Hafen, in dem sie anlegen kann und mit dem Schöpfer des Lebens über ihre Sehnsüchte sprechen kann. Manchmal drehen sich Sehnsüchte auch, wenn man mit Gott unterwegs ist und sich seine Sicht auf unser Leben zeigt.

Die Geschichte vom verlorenen Sohn habe ich erst als Sehnsuchtsgeschichte entdeckt, während ich diese Andacht schrieb. Er war auf der Suche nach einem erfüllten Leben, nach Neuem, nach Anderem, nach Glück, nach Freiheit, nach Eigenständigkeit … Er verließ sein Elternhaus, machte sich mit dem nötigen Geld auf den Weg … Gefunden hat er nichts. Vielmehr, so scheint es, hat er verloren und kam einsamer zurück, wenngleich auch reifer und einsichtiger, als er fortgegangen war.
Der Vater begegnet ihm mit Liebe, mit Neuaufnahme und Wiederannahme. Der verlorene Sohn hatte sich auf Sehnsuchtswege begeben, die nicht in Gottes Plan waren, die dem jungen Mann zum Teil auch vermutlich geschadet hatten. Aber Gott nimmt ihn ohne Wenn und Aber wieder an. Er weiß, dass wir seit dem Sündenfall wegrennen, ausbrechen, suchend umherirren, weg von ihm, der Quelle. Wir versuchen unseren Mangel zu kompensieren, unsere Löcher zu stopfen, da kann es schon mal auf schräge Wege gehen… Aber er nimmt uns immer wieder an, wenn wir zurückkehren!

Auch auf mich wartet Jesus am Brunnen auf meinem Lebensweg. Nehme ich mir die Zeit stehen zu bleiben, fasse ich mich an mein Herz und komme mit ihm ins Gespräch über meine tiefsten Sehnsüchte? Meine Leere? Meine Versuche, mein Herzensloch zu füllen? Aber vielleicht werden wir trotzdem auf dieser Erde so manche unerfüllte Sehnsuchtsfrage nicht beantwortet bekommen. Selbst dann nicht, wenn wir mit Gott Hand in Hand unterwegs sind und am Brunnen seiner Quelle unser Hafen ist.
Auch, dass er mich in meiner Sehnsucht versteht, mich sieht und wahrnimmt, hilft mir oft nicht weiter, den Schmerz des Loches so sehr zu spüren.
Dennoch, lasst uns versuchen, auch in unseren unerfüllten Sehnsüchten Gottes Hand nicht loszulassen. Lasst uns seine Sehnsucht stillen, indem wir dennoch die Beziehung zu ihm suchen.