Andacht Juli 2021

Gönnen können

Ich genieße es durch den Garten meiner Schwester zu laufen. Überall grünt und blüht es. Die Obst- und Gemüsevielfalt erstaunt mich jedes Mal. Auf der Wiese und in den Beeten, sind bunte Blumen eine Augenweide. Und dann erst das Biotop. Wie konnte es in nur so kurzer Zeit wirklich ein so wunderschönes Naturschauspiel werden.
Hach, so einen Garten hätte ich auch sehr gerne.

Ja, der Blick über den Gartenzaun lässt Begehrlichkeiten heranwachsen.

Den Blick über den Gartenzaun gibt es aber auch ganz anders.
Andere zeigen stolz ihren Schwangerschaftsbauch, den ich doch auch gerne tragen würde.
Andere erleben das Familienglück, was ich mir erwünscht habe.
Andere finden schnell und unkompliziert über die Kinder Kontakt zueinander, während ich mir Kontakte aktiv erarbeiten muss.
Andere erleben Enkelglück, während ich meine freie Zeit ohne Enkel füllen muss.

Erlebt nicht jeder von uns Momente, in denen es uns schwer fällt, dem anderen das zu gönnen, was er hat? Gönnen können ist gar nicht so einfach. War es noch nie.

Eigentlich war von Anfang an alles klar geregelt.
Der Jüngere wird stärker sein. Der Ältere wird für den Jüngeren arbeiten.
Jakob, der Zweitgeborene, hatte schon vor seiner Geburt die Berufung zum Erstgeborenen (1. Mose 25, 23).

Was wäre passiert, wenn er nicht vorgegriffen hätte?
Wie hätte sich sein Verhältnis zu seinem Bruder Esau entwickelt, wenn er sich nicht in Gottes Zeitplan eingemischt hätte?
War es wirklich sinnvoll und hilfreich, dass er sich eingemischt hat?
Wir werden es nicht wissen.

Beim sprichwörtlichen Blick über den Gartenzaun entstehen bei Jakob Begehrlichkeiten. Er will das Erstgeburtsrecht, den Segen, die Fülle, die rein rechtlich seinem Bruder zustehen. Neid steigt in Jakob auf.

Und so mischt sich Jakob ein. Er will unbedingt das, was sein Bruder (noch) hat. Ja, er erpresst seinen Bruder in einer Alltagssituation (1. Mose 29-34), so dass dieser ihm sein Erstgeburtsrecht überlässt.

So einfach ist das bei unseren neidischen Blicken auf Familien, auf Kinder nicht. Dennoch hat auch bei uns der Neid Auswirkungen – vor allem auf uns selbst.
Zwischenmenschliche Beziehungen werden vergiftet, wenn der eine dem anderen etwas nicht gönnen kann.
Es fällt schwer, dem Beneideten gegenüber zu treten, denn die Gefühle machen es dem Neider schwer. Der Beneidete wiederum weiß oft gar nicht um die Störung dieser Beziehung und deren Ursachen und so kann er, von sich aus, gar nichts zur Klärung beitragen. Neid macht einsam, unfrei und vergiftet die Gemeinschaft.

Neid bedeutet Missgunst, das heißt, ich gönne dem anderen nicht, was er hat.
Eifersucht heißt, ich suche mit Eifer, was ich nicht habe und neide ihm das.
Dabei werfe ich Gott im Grunde vor, dass er mir zu wenig und dem anderen zu viel gibt.

Die Geschichte von Jakob und Esau nimmt ihren Lauf und es wird weiter getrickst und gemogelt, bis Jakob wirklich den Segen des Erstgeborenen von seinem Vater bekommt (1. Mose 27,1-29).
Jakobs Segen verspricht die Fülle (1. Mose 27, 27-29). Es ist ein Segen, den Gott schon Abraham und somit allen seinen Nachfahren zugesprochen hat.

Als Esau versteht, was geschehen ist, bricht für ihn eine Welt zusammen.
Jetzt ist er es, der nicht gönnen kann.

Esau hatte Angst, zu kurz zu kommen. Er war unzufrieden mit dem, was er dennoch hatte. Ihm ging der Blick verloren für das, was Gott ihm schenken will. Zurückgesetzt, seines Segens beraubt entwickelt er sogar Mordphantasien.

Wenn ich mich zurückgesetzt fühle, dann kann ich Gott nicht mehr für das danken, was er mir geschenkt hat, was ich in Händen halten darf.
Ich sehe nur noch auf das, was nicht ist, lebe mangelorientiert. Undank macht engherzig, gedrückt und unfrei. Dank befreit, erhebt, macht Seele und Herz weit.
Hinter Neid steckt auch oft die Angst, im Leben zu kurz zu kommen, dabei bedeutet der Segen des einen auch immer Segen für alle.

Esau hat das verdrängt, was von Anfang an klar war. Seine Unzufriedenheit, sein Neid vergiftete die Beziehung zu seinem Bruder über Jahre.
Ja, was wäre gewesen, wenn er die Tatsache, dass sein Bruder der Stärkere sein wird, akzeptiert hätte? Ohne den Bruderzwist hätte er Gemeinschaft, Segen erlebt, deren er sich jetzt beraubt.

 

Auch wenn wir uns zurück gesetzt und benachteiligt fühlen, so dürfen wir Zufriedenheit einüben, denn das ist uns immer zum Vorteil.

Nicht immer ist der Segen des anderen auf den ersten Blick auch mein Segen. Aber ich darf sicher sein, dass wenn der Herr, mein Hirte ist, dann wird mir nichts mangeln. Diese Verheißung finden wir in Psalm 23, 1. Mit diesem Gott, diesem Hirten, diesem Vater komme ich nicht zu kurz.

... Können wir das so stehen lassen. Wollen wir das glauben, daran festhalten, uns immer wieder in Erinnerung rufen?
Manchmal nicht so einfach – aber lohnenswert!

Jahre später wagen die Brüder den Schritt aufeinander zu. Mittlerweilen bestimmt nicht mehr der Neid Esaus Leben.
Zufrieden lebt er sein Leben und zu Frieden hat er gefunden. So kann er seinem Bruder mit Freuden und unbekümmert begegenen. Es scheint, als ob er im „gönnen können“ entdeckt hat, welchen Reichtum er selbst hat.
Während Jakob noch zögerlich auf seinen Bruder zugeht, läuft Esau ihm entgegen, fällt ihm um den Hals, küßt ihn unter Tränen.
Der Neid bestimmt nicht mehr sein denken und handeln. Er hat erlebt, dass Gott auch ihn gesegnet hat und so kann er aus ganzem Herzen sagen: „Ich habe genug, mein Bruder; es sei dein, was du hast.“ (1. Mose 33, 9).

Beim nächsten „Blick über den Gartenzaun“ will ich gönnen können.
Ja, es kann weh tun, wenn ich sehe, wie Kinder und Enkel das Leben der anderen bereichern. Dennoch will ich mich für die anderen freuen.
Vielleicht gelingt es mir auch, diese Familie zu segnen, denn der Segen des einen bedeutet immer auch den Segen des anderen.
Und ich will mir dann bewusst sagen, dass ich nicht zu kurz komme, sondern auch gesegnet bin von Gott meinem Vater.
Mit diesem Blick, stimme ich ein in die Worte Esaus: „Ich habe genug, es ist dein, was du hast.“

 

Simone, im Juli 2021


inspiriert durch den Podcast von Rigatio: Start in den Tag Folge 108

Bilder:
privat
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