Andacht Juli 2025

Lebenspuzzle mit Leerstelle

Im Forum der Hannahs Initiative nimmt das Thema "Loslassen" gerade Raum ein. Auch in meinem Leben kommt es in vielerlei Hinsicht gerade wieder hoch. Loslassen der Kräfte und Aufgaben im Alter der älter werdenden Eltern, Loslassen einer jungen Frau von dem möglichen Lebenspartner, Loslassen von ...

Loslassen ist ein schmerzliches Element in unserem Leben. Gerne empfangen wir, nehmen wir an. Abgeben, weggeben, aussortieren, all das fällt uns viel schwerer. Und doch kann oft nur durch ein Loslassen oder Integrieren von Schwerem in unserem Leben Heilung entstehen. Nur, wenn es uns gelingt, auch die schmerzlichen und schweren Pakete in unserem Leben zu integrieren, kann wieder ein Ganzes entstehen. Ansonsten bleibt eine schmerzliche (Leer-) Stelle, ein Riss oder eine Schieflage (emotional, körperlich, ...).

In dem hier verlinkten Video mit Mister Joy beeindruckt mich seine Botschaft zum Lebenspuzzle. 

https://youtu.be/USzpd8x5dKo?si=iQ7QcMJb3BylkVv0

 

Ich finde diese Darstellung des Puzzles grandios. Unser Lebenspuzzle, bestehend aus vielen Teilen, die unser Leben ausmachen. Manche größer, manche kleiner – alle verschieden. Jedes Lebenspuzzle ein anderes, individuell. Unsere Leben sind nicht vergleichbar und dennoch vergleichen wir so oft.
Den Rahmen, den wir um unser Leben herum haben, trägt und hält zusammen: Gott hat unser Leben in seiner guten Hand. Er ist es, der immer gleich bleibt, egal welche Puzzlestücke neu dazu kommen. Er passt den Rahmen an, er trägt und hält in jeder Lebenslage. Er weiß um unseren Weg, den er für uns gestaltet hat. Es ist nicht der Weg eines aus unserer Sicht perfekten und einwandfreien Lebens, sondern es ist der Weg von Gottes großer Liebe für uns ganz individuell.

Etwas Neues will oder muss Platz finden in unserem Lebenspuzzle. Es gibt die schönen Dinge, die anklopfen. Hier öffnen wir uns gerne. Hier machen wir Platz für ein neues Teil, vielleicht eine tiefe neue Freundschaft, unseren Ehepartner, ein neues Ehrenamt, eine Aufgabe, die uns erfüllt, ... Gerne sind wir bereit, ein wenig zu verschieben und Platz zu schaffen. 
Kommt aber ein Puzzleteil auf unser Lebenspuzzle zu, das weh tut, das schmerzlich ist, gelingt eine Integration nur mit Mühe und ist unerwünscht. Sie erscheint uns unmöglich. Für uns gerät plötzlich alles ins Wanken.

Jesus spricht: „Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich. “

Lukas 18, 27

Ein solches Puzzleteil ist bei uns der unerfüllte Kinderwunsch. Während die Paare um uns herum ein Kind nach dem nächsten in ihr Puzzle integrieren, gleichzeitig sich ihre Zeit mit uns verringert, weil sie Platz schaffen müssen und sich ihre Lebensmitte verschiebt, bleibt bei uns ein Puzzleteilplatz leer, dem wir gedanklich in unserem Lebenspuzzle einen Ehrenplatz eingeräumt haben.
Ein Platz, den nichts Anderes ausfüllen kann. Ein Teil, dem WIR eigentlich schon gedanklich in unserem Rahmen einen Platz zugewiesen haben, fehlt. Tut es deswegen vielleicht auch besonders weh, weil WIR den Rahmen für uns schon angepasst haben und der Platz so lange leer bleibt/geblieben ist?

Darf der Platz in meinem Lebenspuzzle (vielleicht) mein Leben lang leer bleiben? Braucht es etwas Anderes, jemand Anderen, der/die diese Lücke füllt?
Jedes Leben ist verschieden und somit wird es für jedes Paar, jeden Einzelnen, eine individuelle Antwort auf diese Fragen geben. 
Der Weg und der Umgang mit dieser Lücke jedoch sind vermutlich etwas, was Beachtung benötigt. Während die Lücke eines fehlenden Kindes in unser Lebenspuzzle gehört und ihren Platz haben darf, ist der Schmerz, der mit ihr einhergeht, etwas, der nur dann heilen kann, wenn wir "ja" zu der Lücke sagen, sie in unser Leben integrieren. 

Ist es in dem Moment vielleicht gar kein "Loslassen", das nötig ist? 
Ist es vielleicht viel mehr ein "Leben mit Leerstelle" - eine Integration dieses leeren Puzzleteiles? Es darf (und wird) ein Schmerzpunkt bleiben - ein Leben lang. Der Schmerz darf und sollte uns jedoch nicht allumfassend bestimmen, ausfüllen oder unsere Identität definieren. 

Wie geschieht also "Integrieren"? 

Mir persönlich ist das Integrieren lieber als das Loslassen. Loslassen scheint wie "abhaken und dann ist es nicht mehr da" und man kann weitergehen. So war und ist es bei mir nicht. Ein Weitergehen auf meinem Leben mit unerfülltem Kinderwunsch gelang mir nur mit der Integration meiner Lücke. So wie andere ein Leben mit Kindern führen und sich daraus viele Dinge "einfach so" ergeben, geht mein Leben ohne Kinder weiter. Und auch das hat Konsequenzen. 
Vielleicht bin ich deswegen IMMER in meinem Beruf tätig. 
Vielleicht kann ich deswegen ein Ehrenamt MEHR ausüben. 
Vielleicht kann ich aus dem Grund ALS EINZIGE in der Familie flexibel sein. 
Vielleicht...
Und vieles, was andere mit Kindern erleben können, kann ich eben nicht oder nur bedingt erleben. 

Das Leben mit Kindern hat Konsequenzen, das Leben ohne Kinder hat ebenso Konsequenzen. Aber alles, was durch ein Leben ohne Kinder auf mich zukommt, wird die Lücke in meinem Lebenspuzzle nicht ausfüllen. Sie gehört zu mir, zu uns als Ehepaar. Sie bleibt leer. Ich möchte und kann sie nicht verschweigen und gleichzeitig auch nicht zu meinem Lebensmittelpunkt machen. Sie ist da - mal schmerzt sie mehr, mal tritt sie in den Hintergrund, vielleicht, wenn ich schon lange mit dem Kinderwunsch unterwegs bin. Aber sie bleibt.

Ich kann diese Puzzlelücke nicht

  • verabschieden, da sie mir durch viele Situationen immer wieder bewusst wird 
  • verschweigen, da sie mein Leben geprägt hat und weiter prägen wird
  • neu ausfüllen, da man einen Menschen, egal ob gekannt oder ersehnt, nicht ersetzen kann. 

Ich muss lernen das Puzzlestück, das die Aufschrift "mein nicht empfangenes und ersehntes Kind" trägt in mein Lebenspuzzle zu integrieren. Gott weiß um diese Lücke. Er weiß, dass wir dieses Puzzleteil in unser Lebenspuzzle integrieren müssen. Er schafft den passenden Rahmen. Er will uns Begleiter sein, Wegbereiter, Freund und Tröster. Er kennt unseren Schmerz um diese so andere Lebensführung. 

„Befiehl dem Herrn deinen Weg und hoff auf ihn, er wird's wohl machen“.

Psalm 37, 5:

Wenn ich etwas loslasse, ziehen lasse, ist es (scheinbar) nicht mehr da. Das trifft auf unseren Kinderwunsch nie zu. Er bleibt ein Teil von uns, ein Leben lang. Deswegen passt, finde ich, das Bild der Integration eher. Wenn ich etwas integriere, gehört es dazu. Es bekommt einen Platz, einen Raum. So darf und muss auch unser Kinderwunsch (-schmerz) einen Raum bekommen. Einen Raum, den ich immer wieder betreten kann, wenn ich es will. Einen Raum, der aber auch mal länger verschlossen bleiben darf.

Ich möchte dich einladen, der Idee aus dem Kaleidoskop -Trauermodell von Chris Paul Aufmerksamkeit zu schenken. 
Ich möchte aus Chris Paul "Ich lebe mit der Trauer. Das Kaleidoskop des Trauerns für Trauernde. 2021" zitieren: 

„ […] Stellen Sie sich vor, Ihr Leben wäre ein großes Haus. Oder vielleicht ein großes Gehöft. Alle Menschen, die zu Ihrem Leben gehören, haben darin ein eigenes Zimmer, auch die Verstorbenen. Sie selbst haben ebenfalls ein Zim­mer, das nur für Sie allein ist. Diese Zimmer sind so eingerichtet, wie es zu jedem Einzelnen passt. Es gibt Fenster und Balkone, Dachschrägen und natürlich Türen. Die Türen dieser Zimmer passen jeweils zum Raum, es gibt vielleicht Schiebetüren und solche, die man oben und unten getrennt öffnen kann, oder solche mit einem Fenster drin; spüren Sie nach, wie das in Ihrem Lebenshaus ist. Stellen Sie sich vor, dass auch der Mensch, der gestorben ist, ein Zimmer in Ihrem Lebenshaus hat. Überlegen Sie, in welchem Stock­werk das Zimmer liegt. Gehen Sie eine Treppe hinauf oder hinunter? Wie sieht die Tür aus, hinter der das Zimmer des Verstorbenen liegt? Das Zim­mer passt zum Verstorbenen, es ist genauso, wie er oder sie sich das wün­schen würde. Betrachten Sie den Innenraum und die Ausstattung genau. Wo mag sich der/die Verstorbene gern aufhalten – in einem Schaukelstuhl, oder vor dem Fernseher? 
In dieses Zimmer können Sie eintreten, vielleicht klopfen Sie vorher an oder rufen hinein, dass Sie jetzt kommen? Sie können in diesem Fantasie- Zimmer ein bisschen Zeit mit diesem Menschen verbringen, vom Alltag er­zählen, ihre Liebe ausdrücken oder einfach nur da sein. Wenn Sie dazu be­reit sind, verabschieden Sie sich aus diesem Raum der inneren Begegnung. Bleibt die Tür offen oder wird sie von Ihnen geschlossen? Spüren Sie, dass Sie nun einen anderen Raum betreten möchten, vielleicht einen Gemeinschaftsraum, wo sie anderen Menschen Ihres Lebens begegnen können, oder Ihr eigenes Zimmer, um ein wenig ganz bei sich selbst zu sein. […]“ ­1

Vielleicht ist das eine Möglichkeit, in unserer Vorstellung einen Raum für unser nie empfangenes Kind zu erschaffen. Ein Raum, der unserer Trauer um ein eigenes Kind gehört. Vielleicht hilft ein Ritual, wenn der Schmerz kommt, wenn die Seele weint, den nötigen Raum zu geben und aber den Raum auch wieder verlassen zu können.  Trauer darf und muss sein, sie braucht einen Ort, an dem sie ausgelebt werden kann. Nur ein ständiger Begleiter, der sich durch unseren gesamten Lebensteppich webt, darf sie nicht werden. Die Tatsache der Kinderlosigkeit ist ein Faden der sich hindurchzieht, die Trauer jedoch braucht einen Raum, in dem ich von Zeit zu Zeit Platz nehmen darf. So kann ich heilen.  

Gott gibt den Rahmen dazu, 
er trägt und hält dich, mit deinen Lücken im Lebenspuzzle, mit den Teilen, die klemmen und drücken. 
Er trägt mit dir, er richtet dich auf, wenn du fällst, 
er begleitet dich durchs finstere Tal und erklimmt mit dir alle Berge. 
Er ist dein Fels, dein Freund, dein Anker und er kennt deinen Schmerz, 
er trocknet deine Tränen und er will dir Freude geben, Leben in Fülle, 
er will deinen Becher zum Überfluss bringen.

DENN: Er liebt dich und will dich segnen und will dich erfüllen. 

Du bist wertvoll in seinen Augen - siehst du auch deinen Wert? 

Von Herzen, 
verbunden im Integrieren unserer Lebenspuzzlelücken,
deine Seeigel


Seeigel im Juli 2025

1Chris Paul "Ich lebe mit der Trauer. Das Kaleidoskop des Trauerns für Trauernde. 2021, Übung: Ein Zimmer für dich in meinem Lebenshaus

Bilder:
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