Staunend sitze ich vor diesen Bildern. Feine Strukturen, zarte Verästelungen sind in kleinen Kreisen zu sehen. Manchmal meine ich Seesterne oder Schneeflocken darin zu erkennen. Mancher Kreisausschnitt erscheint auf dem ersten Blick wie eine Schwarzweißaufnahme eines Satellitenbildes. Nie hätte ich gedacht, dass es sich bei diesen Bildern um Tränen handelt. Unglaublich, dass Tränen so schön und so unterschiedlich sein können.

Eine Freudenträne sieht unter dem Mikroskop anders aus als eine Träne mitten im Schmerz. Tränen der Rührung unterscheiden sich von Tränen beim Zwiebelschneiden.
Unterschiedliche Tränenarten weisen eine unterschiedliche molekulare Struktur auf.
Tränen reinigen unsere Augen und wehren Bakterien ab, enthalten Proteine, Enzyme, Lipide, Stoffwechselprodukte und Elektrolyte.

In unserem Leben weinen wir etwa 65 Liter, das sind immerhin 1 850 000 Tropfen oder fast sieben Zehnlitereimer voll Tränenflüssigkeit. Jeder Tränentropfen hat ein Volumen von 0,035 cm 3 und wiegt 35 Tausendstel Gramm. Die Tränen werden von den Drüsen neben dem Auge produziert. Es sind sechs winzige Kanäle, die nicht dicker als ein Haar sind, aus denen die Tränenflüssigkeit fliesst. Diese besteht chemisch zu 99 Prozent aus Wasser, daneben gibt es noch 80 verschiedene Substanzen.

Tränen sind wirklich ein Wunderwerk Gottes und eigentlich zu schade, um sie zurückzuhalten oder verschämt wegzuwischen.

Tränen sind allermeist mit Emotionen verbunden.
Tränen der Wut oder des Zorns,
Tränen der Verzweiflung oder der Enttäuschung,
Tränen des Schmerzes oder des Leids,
Tränen der Reue oder des Versagens,
Tränen tiefer innerer Bewegung oder Tränen der Angst,
Tränen der Rührung oder der Freude.

Schon immer gab es Tränen und auch in der Bibel ist von ganz unterschiedlichen Tränengeschichten zu lesen.

Mich bewegt, dass selbst Jesus weinte.
Er vergoss Tränen, als sein Freund Lazarus tot war (Johannes 11, 35).
Wenn er die Verlorenheit der Menschen wahrnahm wurde er innerlich so sehr bewegt, dass er weinte (Lukas 19, 41).
Ja, er leidet mit uns mit (siehe Hebräer 4, 15).

Antje Sabine Naegeli schreibt:

Geweint oder ungeweint, alle deine Tränen sind gezählt. Von Anbeginn sind alle deine Leiden mitgelitten, deine Einsamkeiten geteilt. Aufgehoben ist dein Verwundetes am Herzen des Herrn.“

Was für starke Worte. Aber genau das finden wir in der Bibel.
In Psalm 56, 9 (Neues Leben Bibel) heißt es:

Du zählst alle meine Klagen. Sammle alle meine Tränen in einem Gefäß. Du hast doch jede einzelne in deinem Buch festgehalten.

 

Gott nimmt jede einzelne meiner Tränen wahr. ER zählt sie. ER sammelt sie. ER, hält sie fest.
Den Tränen über die Sinnlosigkeit gibt er einen Sinn. Den Tränen, ausgelöst durch überwältigende Traumata, nimmt er die Macht, indem er sie behutsam sammelt. Ja, er fängt unsere Tränen auf. Aber mehr noch uns selbst. Er sammelt die Tränen in einen Krug, aber mehr noch die Bruchstücke unseres Herzens. Er geht behutsam mit unseren Tränen um. Und er kennt den Grund und Ursprung jeder einzelnen.
(Désirée Wiktorski)

Wieder einmal muss ich an Hannah (eine unserer Namensgeberinnen) denken.

Hannah kennt das Leben mit einem unerfüllten Kinderwunsch. Inmitten von Familienfeierlichkeiten wird es ihr zu viel. Tränen füllen ihre Augen. Alles ist fröhlich, feiert, lebt, nur sie ist (gefühlt) allein.
Wen soll sie umsorgen? Wo kann sie von Kindern erzählen? Wen auf ihrem Schoß halten?
Auch ihr liebevoller Ehemann ist in diesem Moment nicht in der Lage sie zu trösten.
Die Trauer und er tiefe Schmerz überrollen sie und Tränen kullern über ihre Wangen.

Weinen tut gut, denn im Weinen liegt die Chance, seelische Spannungen abzubauen. Tatsächlich haben Tränen eine heilsame Wirkung, denn sie entlasten den Blutdruck, Herz und Nieren.

Die Tränen allein sind es nicht, die Hannah gut tun. Sie geht raus aus der Situation und geht zu dem, der ihre Tränen kennt, der ihre Tränen versteht, der mitleidet. Sie geht in den Tempel um Zeit mit ihrem Vatergott zu verbringen.

Inmitten von Tränen tut es auch mir gut, wenn ich mich zurückziehe und die Gemeinschaft mit Gott suche. Dabei habe ich schon oft erlebt, dass Gott sich neben mich setzt, mir die Hand auf die Schulter legt, mit mir trauert, mit mir schweigt, vielleicht auch mit mir weint.

„Hannah war ganz in ihren Kummer versunken und weinte bitterlich, während sie zum Herrn flehte.“ (1. Samuel 1, 10)

Hannah redet sich alles von der Seele, ja sie schüttet ihr Herz vor Gott aus. Lehrt allen Kummer, allen Schmerz, alles Unverständnis vor seine Füße. Indem sie das tut, verändert sich etwas in ihr.

Indem ich meinen Schmerz bei Gott lasse, bleibe ich auch selbst bei Gott. Wir schließen dabei unsere Not nicht in unserer Seele ein, wo sie sich krankmachend einnistet, sondern lassen sie heraus und bringen sie dem, der als Einziger wirklich gut damit fertig wird.

Thomas Härry

Wie auch Hannah kann ich im Trauern los lassen.

Ich gebe bewusst und trauernd aus der Hand, war mir genommen oder nie gegeben wurde. Ich schaue in mein Herz, benenne den Verlust, der mich schmerzt, und gebe ihn Gott. Und dabei darf ich klagen und weinen.

Ich kann die Trauer mit Gott besprechen. Dabei verarbeite ich sie auch Stück für Stück. Und vielleicht kann ich dann erwartungsvoller in die Zukunft gehen. Vielleicht erfüllt Gott meine Sehnsucht. Vielleicht nicht. Vielleicht bleibt diese Frage auch noch länger offen. Wie viel Klarheit Gott uns auch gibt, meine Reife stellt mich auf ein zunehmend stabileres Fundament, sodass mein Herz und meine Seele für Gottes zukünftige Wege bereit sein können.

Thomas Härry

Und eines Tages werde ich erleben, was in Offenbarung 21,4 geschrieben steht:

Er wird alle ihre Tränen abwischen, und es wird keinen Tod und keine Trauer und kein Weinen und keinen Schmerz mehr geben.

Darauf freue ich mich heute schon.

 

Simone, im Juli 2022


inspiriert durch:
Unvollkommen glücklich (Christina Ott)
Tränenfotograf Maurice Mikkers https://imaginariumoftears.com/

Fotos:
pixabay.com