Andacht Juli 2018

Eine Wildwiese lässt mich fasziniert stehenbleiben.
Kornblumen, Mohn, Ringelblumen, … und Disteln. Augenscheinlich nehmen die Disteln überhand. Ungern möchte man sie in seinem Garten haben – oder auch nur in der Nähe davon.
Samen werden vom Wind, wie Schneeflocken, davongetragen und nehmen meinen Blick mit in die Ferne.

Die nächsten Tage laufe ich immer wieder an dieser Wiese vorbei, sehe die Disteln, sehe die auffliegenden Samen.
Wildwuchs, Ärgernis, Störfaktor – oder – Lebensraum, Nahrungsqelle, Vorbild?

Die Blütenknospe ist noch fest verschlossen, mit Dornen und Stacheln gut geschützt.
Inmitten der anderen und doch verletzlich, habe ich mir vielleicht selbst so ein Dornenkleid zugelegt.
Meinen Schmerz um die ungeborenen Kinder bewahre ich in mir, schließe ihn ein.
Die Verletzungen, die Worte in mir verursacht haben, lassen mich nach außen hin stachelig und unnahbar werden.
Manchmal verschließe ich mich auch Gottes unverständliche Wegführung.

Und doch entsteht in dieser Blütenknospe etwas. Unmerklich, langsam, reift etwas heran.
Ich muss mich entscheiden, ob ich dem Leben Raum gebe oder ob ich mich dem Leben verschließe.
Ja, ich mache mich verletzlich, wenn ich diese Knospe öffne.

„Jeden Morgen, wenn diese Sonne aufgeht und Sie aufstehen, sagt Gott, dass ER an Sie glaubt. ER ist überzeugt von der Geschichte, die er durch Sie schreibt. ER ist sich sicher, dass Sie ein Geschenk an die Welt sind, das die Welt braucht.“ 1

Ermutigt und trotzdem zaghaft, vielleicht sogar ängstlich, streckt sich die zarte Blüte durch das Stachelkleid.
Zart und verletzlich, ungeschützt, streckt sie sich der Sonne entgegen.
Wenn ich mich entscheide zu blühen, dann verändert es meine Umgebung.
Schönheit erstrahlt. Die Welt wird bunter. Andere werden angezogen von mir.
Aber bin ich bereit zu geben? Bin ich bereit mich soweit zu öffnen, dass andere beschenkt werden?
Nur wenn die Distel blüht, können Bienen, Hummeln und Schmetterlinge sich daran erfreuen. Landeplatz, Oase, Nektarquelle, Ruheplatz.
Sich verschenken. Anderen meine Verletzlichkeit zutrauen.

„ Wenn Geben heute der Kern von allem sein soll, wenn ich heute das Geschenk sein soll, dann muss ich auch daran glauben, dass ich genug von dem habe, was gegeben werden kann. Wir glauben zwar an Jesus, aber glauben wir auch, dass er in uns wirkt?“ 2

Indem ich mich öffne, mich entscheide zu Geben, eröffne ich anderen die Möglichkeit von mir beschenkt zu werden.
Beschenkt mit einem Lächeln, einer freundlichen Geste, mit einem guten Wort, einem Gebet. Auch Ehrlichkeit beschenkt. Offene Worte was meine Verletzlichkeit, meine Sorgen und Ängste betrifft.
Bei den Disteln entsteht nur dann das Wunder der Samen.

Blühen, geben, sich verschenken – diese Zeit dauert nicht ewig.
Abschied von Farbe, Begegnungen, Vergangenem beginnt.
Im Rückzug kann mich auch Versöhnung und Vergebung begleiten. Vielleicht darf auch die Dankbarkeit über das gewesene ein wertvoller Bestandteil dieser Zeit sein.

Wieder Rückzug. Wieder die Entscheidung, ob ich mich dem nächsten Schritt ausliefere.
Unzählige Samen entstehen in einer Knospe. Es braucht Zeit, Einkehr, Rückzug.

Bin ich bereit loszulassen?
Kann ich meine Träume, Lebensentwürfe, Ziele, Wünsche, Sehnsüchte frei lassen? Abgeben in Gottes Hand.

„ Ja, wir können Pläne schmieden – aber Gottes Pläne erfüllen sich.
Vielleicht ist die Trauer über gescheiterte Pläne Teil des Plans, nach dem wir verändert werden sollen.“ 

Loslassen, verschenken, frei geben.
Samen in Hülle und Fülle fliegen durch die Luft, bedecken das Land.
Im loslassen und verschenken entsteht Neues. Gott bringt Neues hervor, lässt Frucht entstehen, lässt Bleibendes wachsen.

„ Nichts ist umsonst, was mit Liebe verschenkt wurde, es bleibt und trägt Frucht.

Ich will lernen, die Zeiten des Lebens zu nutzen und zu genießen, mich da zu entfalten, wo ich bin, zum Lob meines Schöpfers.“ 4

Noch einmal schweift mein Blick über die Wildwiese.

Ich kenne die Zeiten, in denen sich alles in einem zusammenkugelt. Stacheln werden als Schutz ausgefahren. Dennoch will ich mein Leben nicht in diesem Stachelkleid verbringen.
Ich brauche Gottes Ermutigung, Gottes liebende Hand, um mich zu öffnen, meine Verletzlichkeit zuzulassen. In SEINER Nähe kann ich blühen, mich verschenken, weil ER in mir mehr sieht, weil ER sich selbst in mir sieht.

Und wie sehr rührt es mein Herz, dass auch ich wertvollen Samen ausstreuen kann in diese Welt. Wertvolles Saatgut, dass an Orte und Plätze getragen wird, die ich nur erahnen kann. Kleine Keimlinge die sich ins Leben durchkämpfen. Leben entsteht. Bleibendes wächst.

Ich fühle mich beschenkt durch diese Wiese, durch die Disteln die mir eine wichtige Lebenslektion zeigten.

„Wenn wir glauben, auch wenn alles dagegenspricht, und wir lieben, obwohl alles dagegenspricht, dann kann Jesus sich der Welt offenbaren und sie verändern.“ 5
(Frederick Buechner)

Simone, Juli 2018


Fußnoten:

Fotos: privat
1  Ann Voskamp: Durch meine Risse scheint dein Licht
2  Ebd.
3  Ebd.
4  Christa Gatter: Wer Wurzeln hat, kann fliegen